Vikarin Dorothee Becker, Kalbach

Liebe Schwestern und Brüder,
der Predigttext für den heutigen Sonntag Exaudi steht beim Evangelisten Johannes im 7. Kapitel:
37Aber am letzten, dem höchsten Tag des Festes trat Jesus auf und rief: Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! 38Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen. 39Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn der Geist war noch nicht da; denn Jesus war noch nicht verherrlicht.

Vor wenigen Tagen haben wir Himmelfahrt gefeiert. Jesus hat sich von seinen Jüngern verabschiedet und seinen Platz im Himmel eingenommen. Die Jünger bleiben wieder zurück. Aber Jesus hat ihnen bereits vor den Osterereignissen einen Tröster versprochen. Davon haben wir eben im Predigttext gehört und gelesen. Aber es dauert nach Jesu Himmelfahrt noch etwas bis der Tröster kommt. 11 Tage liegen zwischen Himmelfahrt und Pfingsten. In dieser Zeit sind die Jünger unter sich. Sie wissen sich von Jesus gesegnet und warten auf den Tröster. Trotzdem vermissen sie Jesus, weil er nicht mehr präsentisch bei ihnen ist. Und wie wir aus den Evangelien wissen sind die Jünger nicht gerade geduldig im Warten. Sie wurden traurig und zogen sich in ein Haus zurück. In ihrer Trauer waren sie nicht allein. Ihre Gemeinschaft und Jesu Segen geben ihnen Kraft und Zusammenhalt. Wir müssen zum Glück keine 11 Tage auf den Heiligen Geist warten. Er weht seit dem 1. Pfingstfest wie er will. Wir erfahren seine Gegenwart auf verschiedene Weisen und durch verschiedene Menschen. Auch wenn wir ihn nicht spüren, ist er da. Daran glaube ich fest. Wir nehmen ja auch den Wind war, obwohl wir ihn nicht sehen, sondern nur seine Wirkung.

Diese Zeit des Wartens haben die Jünger überstanden, weil sie an Jesus und sein Wort geglaubt haben. Jesus war ihnen somit eine Kraftquelle. Das haben wir auch im Predigttext gehört, als Jesus die Durstigen einlädt zu ihm zu kommen und zu trinken. Danach sollen Ströme lebendigen Wassers aus den Gläubigen fließen. Das muss man übertragen, den aus uns Menschen fließen ja keine Ströme Wasser wie bei einer Quelle oder bei einem Fluss. Ich verstehe es so, dass die Gläubigen etwas erfahren haben und davon erzählen. Mit ihrer Begeisterung für diesen Glauben stecken sie andere an. Und so wird aus den Gläubigen ein Strom, der die gute Botschaft verbreitet. Jesus ist somit die Quelle des lebendigen Wassers. Die Menschen sind verändert, wenn sie ihm begegnen. Er hilft den Schwachen aufzustehen, tröstet die Weinenden, den Hoffnungslosen schenkt er Hoffnung und er freut sich mit den Glücklichen.

Die Begegnungen mit Jesus wurden immer weitererzählt und haben sich verbreitet. Nach Jesu Himmelfahrt gab es keine neuen Geschichten mehr zum Weitererzählen. Manche wanden sich vielleicht auch ab, weil sie die Geschichten auf einmal für unmöglich hielten. Aber Jesus versprach, dass jemand nach ihm kommen soll. Dieser sollte die Arbeit fortsetzen und die Menschen weiterhin begeistern. Jesus spricht von diesem jemand als den Geist oder den Tröster. Es handelt sich dabei um den Heiligen Geist. Der Heilige Geist wurde an Pfingsten zur neuen Kraftquelle, die den Jüngern den Mut gab wieder aufzustehen und in der Welt von Jesus und seinem Wirken zu erzählen.

An Pfingsten wurden die Jünger mit dem Heiligen Geist erfüllt. Er erfüllte sie mit Begeisterung, die überlief und sich ihren Weg aus ihnen heraus bahnte. Oder um es mit unseren Predigttext zu sagen: Ströme lebendigen Wassers fließen. Das Warten der Jünger hat sich gelohnt. Der Heilige Geist gibt ihnen Kraft. Die Jünger hören bis zu ihrem Tod nicht auf begeistert von Jesus und ihren Erlebnissen mit ihm zu erzählen.

Auch manch einer von uns, hat vielleicht schon diese Kraftquelle in sich und seinem Leben gespürt. Von einer solchen Situation in meinem Leben möchte ich ihnen gerne ganz grob erzählen: Es gab vor einigen Jahren diesen einen Moment, indem ich dachte: „Es klappt gar nichts mehr!“ und „Wie soll das noch gut werden?“ Aber in mir war dieses Gefühl und diese Kraft, die mich gestärkt haben. Beide machten mir deutlich, dass ich weitermachen sollte. Es lohnte sich dafür weiter zu kämpfen. Also habe ich weitergemacht, weil ich einfach nicht aufgeben konnte. Und es hat sich gelohnt. Es hat sich alles zum Guten gewendet.

Manchmal wirkt der Heilige Geist auch durch andere Menschen, die einem Mut machen und einem Zuspruch geben. Der Heilige Geist ist eine Kraftquelle in verschiedenen Weisen. Von diesen Begegnungen und der guten Botschaft Jesu dürfen auch wir weiterhin mit Begeisterung erzählen. Wir setzen den Strom des lebendigen Wassers fort.
Amen!

Sonntagsgedanken

30. September 2021
Pfarrer Stephan Gleim, Mottgers Liebe Leserinnen und Leser aus unseren Gemeinden in Sinntal und Kalbach, Sie halten mit diesem Brief etwas Neues in der Hand. Die ersten Monatsgedanken. Nach guten Erfahrungen und großer Nachfrage bei den Sonntagsgedanken, die bis zur Sommerpause ausgegeben wurden, war es für uns Pfarrerinnen und Pfarrern klar: „Es soll weitergehen“. Jede Woche allerdings ist das neben den – glücklicherweise – wieder stattfindenden Veranstaltungen und Gottesdiensten nicht zu schaffen. Daher nun dieses Format: Jeden Monat die Monatsgedanken mit Andacht und allen Terminen sowie Informationen aller Gemeinden im Kooperationsraum. Selbstverständlich finden Sie alles Aktuelle auch auf der Homepage www.kirche-sinntal-kalbach.de Und es gibt eine extra eingerichtete Telefonnummer: Unter 06664 2189822 hören Sie Ansagen zu den aktuellen Terminen, eine Telefonandacht, oder Sie können sich mit den Pfarrämtern verbinden lassen. Monatsspruch Oktober 2021 Lasst uns aufeinander achthaben und einander anspornen zur Liebe und zu guten Werken. Hebr 10,24 Beim Lesen des Monatsspruchs für den Oktober frage ich mich schon: „Was ist eigentlich übriggeblieben vom »aufeinander achten«?“ Ja, zu Beginn der Corona-Pandemie wurde auf die Älteren geachtet, Rücksicht genommen, Masken wurden genäht, Einkaufshilfe wurde angeboten und vieles mehr. In den anderthalb Jahren Pandemie gab es Zeiten, da waren die Krankenhäuser fast voll und die Pflegekräfte wurden bis weit über menschenmögliche Belastungsgrenzen hinaus gefordert. Dafür wurden sie beklatscht. Und nun? Nun kommen sie in der öffentlichen Wahrnehmung kaum noch vor, weder in unser aller Anerkennung noch durch höhere Entlohnung. Egal wo ich hinschaue oder hinhöre: Nur noch wenig bleibt bei mir der Eindruck zurück, dass wir gut aufeinander achthaben und uns gegenseitig achten. Aufeinander achten heißt, meinem Gegenüber zeigen: „Du bist für mich so wertvoll, dass ich ein wenig von meiner Zeit und meiner Aufmerksamkeit auf dich verwende. Ich sehe, wie es dir geht, was dich bewegt, was du brauchst und ich versuche darauf einzugehen.“ Für uns selber nehmen wir das gerne in Anspruch: Ich möchte beachtet werden. Aber auf andere achten? Der Monatsspruch für den Monat Oktober ist eine sehr klare Anweisung an eine christliche Gemeinde: Habt Acht aufeinander. Bleibt also nicht bei euch stehen, sondern richtet euch auf eure Nächsten aus. Als Christinnen und Christen sehen wir, dass Gott es genauso gemacht hat. Gott ist nicht bei sich stehen geblieben und hat gezürnt, dass die Menschen ihn zu wenig beachten. Sondern Gott wurde Mensch, hat uns Beachtung geschenkt, kam zu uns. Und ja, wir hören in unseren Gottesdiensten davon, wie Jesus zu den Menschen ging, die nicht geachtet waren. Manche zu Recht – andere zu Unrecht, Jesus machte da keine Unterschiede. Weil wir uns in der Nachfolge von Jesus sehen, ergeht eben diese Aufforderung im Monatsspruch an uns Gleiches zu tun. Sicherlich könnten wir über Bedenken und Einwände reden. Oder aber auch diese Bedenken und Einwände einfach mal lassen. Und stattdessen hoffen und beten, dass, wenn wir uns bemühen einander zu achten und einander anzuspornen zu Liebe und guten Taten, dass das einen Unterschied macht. Es gibt so viele Stimmen, so viele Taten, die andere Menschen fertig machen, klein machen bedrohen und Hass zeigen. Es macht einen Unterscheid, wenn wir als christliche Gemeinden etwas anderes sagen, andere Töne anschlagen. Und uns gegenseitig darin bestärken: Zur gegenseitigen Achtung, Liebe und guten Taten. Probieren wir doch im Monat Oktober mal aus, welchen Unterschied dies macht – und hören wir dann anschließend nie mehr damit auf, einen Unterschied zu machen. Liebe Grüße, Pfarrer Stephan Gleim, Mottgers
27. Juni 2021
Geh aus mein Herz – Es ist Sommer!! Wenn man sich in der Natur so umschaut, kann man manchmal wirklich nur staunen: Was es da alles gibt! Und was die Welt im Innersten zusammenhält. Ein großartiges System. Wer hat das alles gemacht? Wie hat das alles wohl mal angefangen? Neben allen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen hat der Glaube dazu seine ganz eigene Ansicht. Lesen wir aus dem ersten Buch der Bibel, dem Buch Genesis, wie alles begann: Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde. 2 Die Erde war wüst und wirr und Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. 3 Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. 11 Dann sprach Gott: Die Erde lasse junges Grün sprießen, Gewächs, das Samen bildet, Fruchtbäume, die nach ihrer Art Früchte tragen mit Samen darin auf der Erde. Und so geschah es. 14 Dann sprach Gott: Lichter sollen am Himmelsgewölbe sein, um Tag und Nacht zu scheiden. Sie sollen als Zeichen für Festzeiten, für Tage und Jahre dienen. 15 Sie sollen Lichter am Himmelsgewölbe sein, um über die Erde hin zu leuchten. 20 Dann sprach Gott: Das Wasser wimmle von Schwärmen lebendiger Wesen und Vögel sollen über der Erde am Himmelsgewölbe fliegen. 24 Dann sprach Gott: Die Erde bringe Lebewesen aller Art hervor, von Vieh, von Kriechtieren und von Wildtieren der Erde nach ihrer Art. Und so geschah es. 26 Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich! Sie sollen walten über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere, die auf der Erde kriechen. 28 Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde und waltet über sie. 31 Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr gut. Wohin geht dein Herz, wenn es ausgeht? Mit dem Ausgehen ist das ja im Moment so eine Sache. Viel geht da noch nicht. Essen gehen? Ins Theater gehen? Leute treffen, Konzerte besuchen – all das geht immer noch nur sehr beschränkt, mit gebotenem Abstand, mit Maske, mit viel Vorsicht. Spazieren, Joggen, Bummeln gehen? Schon eher und leichter möglich. Wohin geht dein Herz, wenn es ausgehen und dabei Freude finden soll? Paul Gerhardt schickt sein Herz nach draußen in die Natur. Draußen ist es schön, ja: prächtig ausgeschmückt. Bäume voller Laub. Grüne Wiesen, bunte Blüten: Narzissus und die Tulipan. Schön wie Samt und Seide. Nachtigallen füllen Berge, Hügel, Tal und Felder mit ihrem Gesang. Frühlingsgefühle geben Lerche und Tauben, Luft und die Flügel; auch Glucken, Storche, Schwalben kommen in Wallung und frönen dem Nestbautrieb. Bäche rauschen und versprechen Abkühlung. Bienen summen emsig und sorgen für Genuss, genau wie Weinstock und Weizen – dass der Wein des Menschen Herz erfreue, sein Antlitz schön werde vom Öl und das Brot des Menschen Herz stärke. Jung und Alt sind gut drauf und geraten ins Schwärmen. Paul Gerhardt geht das Herz auf, wenn es ausgeht in Gottes schöne Welt. Denn die weckt ihm alle Sinne, rührt Herz und Lippen an, da kann auch er nicht anders: Er singt mit, wenn alles singt – da können wir im Moment nur neidisch werden. Das Herze lacht und singt und schwärmt: Wenn es hier auf Erden schon so schön ist, wie schön muss es da wohl erst in Gottes Garten sein, im Paradies? Wie muss es da wohl klingen mit tausend Seraphim und Stimmen, mit tausend schönen Psalmen und Engelsweisen? Halleluja! Aber noch ist er nicht tot und nicht im Paradies. Das weiß er wohl – und weiß es umso mehr zu schätzen, dass es schon auf Erden, hier und jetzt so viel Freude zu finden gibt. Wohin geht dein Herz, wenn es ausgeht Freude suchen soll? Zum Sport, ins Theater, liest es Illustrierte oder vertieft es sich in ein Buch? Geht’s nach draußen oder muss es gar nicht weit, sieht nur zur Seite und sieht die Liebe dort sitzen, mit der du dein Leben teilst? Was lässt dein Herz höher schlagen, dass es singen möchte vor Glück? Natürlich, manchmal bleiben einem das Herz und die Freude auch im Halse stecken. In Ängsten oder Sorgen, in Nöten oder trüben Gedanken – so manches Herz kommt gar nicht gut aus sich raus. Auch davon übrigens wüsste Paul Gerhardt ein Lied zu singen. Es hat schon seinen Grund, warum er sich selbst auffordert: Geh aus…! Suche…! Ja, manchmal muss man sich selbst an den Haaren herbeiziehen und das Herz vor die Tür jagen, wenn es Freude finden will. Aber dann gibt es da viel zu entdecken! Natur und Sommer oder eben anderes, was dir das Leben leicht und schön macht; Heute gehen wir mit Paul Gerhardt auf Entdeckungsreise nach dem, was das Herz Aufblühen, Kraft tanken und genießen lässt. Wer suchet – der findet! Geh aus, mein Herz und suche! Dass das, was mir da selber aus dem Herzen rinnt, auch anderen zur Freude und zum Segen wird. Dass das, wovon ich zehre, auch anderen den Glauben an das Gute und das Schöne stärkt. Dass die Hoffnung nicht vergeht: Alles wird gut! Und dass ich erkenne, letztlich ist das Schönste im Leben immer nur Geschenk! Die Liebe, der Glaube, Hoffnung und Frohsinn, Begabungen und Talente. Die einen singen, die anderen zeichnen wunderschön. Die einen backen schönste Torten, die anderen sorgen für die passende Atmosphäre. Manche sind sportlich, andere musikalisch, kreativ, humorvoll, großzügig, weitherzig. Kein Mensch, der nicht ein Talent hat. Kein Mensch, der nicht etwas finden würde, wenn er sich auf die Suche nach Freude macht. Denn die Erde ist voll seiner Güter und was Gott gibt, brauchen wir nur zu sammeln! Das ist die große Stärke des Paul Gerhardt, diese Gewissheit zu vermitteln. Er betet und bittet am Ende, diese Herrlichkeit des Herrn möge ihm ewig erhalten bleiben, mitsamt der Fähigkeit, sich daran zu freuen. Dass die Seele Kraft daraus ziehe und das Herz fest werde, wie ein gut verwurzelter Baum in der Erde. Ein Pflänzchen in Gottes großem Garten werden, das wär´ was. Und bis das so weit ist, ihm hier auf der Erde stetig blühen. Schick dein Herz auf Entdeckungsreise. Das ist keine große Kunst. Nur eine Frage der Haltung. Schau, was dir Halt gibt; wer oder was dich interessiert. Erzähle den anderen, was dich wirklich berührt. Danke und lobe, dann kommt die Freude von ganz allein. Wenn Gott d as Gras auf dem Felde schon so herrlich kleidet, um wie viel mehr dann doch euch… uns, alle miteinander. Dann gibt’s da auch was zu finden. Denn er hat alles schön gemacht! Geh aus, mein Herz, und suche… Gebet: Gütiger Gott Hier sind wir. Mit all unserer Schönheit, unserem Stolz, unserer Dankbarkeit. Auch mit all unserer Unsicherheit, unseren Sorgen und Ängsten. Wir danken dir für all die Freude, die wir erleben. Wir denken jetzt an alle, die wir lieben. Was tun sie gerade? Wir bitten dich, begleite sie. Wir denken an alle, die meinen, keinen Grund zur Freude zu finden, die nur das Schwere und Schlechte sehen. Wir bitten dich, stärke sie! Gott, wir sind Deine Menschen. Wir sind miteinander verbunden. Sehen die Schönheit Deiner Schöpfung und die Freuden in dieser Welt. Amen.
20. Juni 2021
Andacht zum 3. Sonntag nach Trinitatis am 20. Juni 2021 Pfarrerin Inga Siemon, Kalbach Verlorenes - Gefundenes Jesus hat wunderbare Gleichnisse erzählt. Ganz bekannt ist das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Aber auch die beiden, die im heutigen Predigttext stehen, sind ausgesprochen aussagekräftig. Es nahten sich ihm aber alle Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. Und die Pharisäer und die Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen. Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach: Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er eines von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er's findet? Und wenn er's gefunden hat, so legt er sich's auf die Schultern voller Freude. Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen. Oder welche Frau, die zehn Silbergroschen hat und einen davon verliert, zündet nicht ein Licht an und kehrt das Haus und sucht mit Fleiß, bis sie ihn findet? Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freut euch mit mir; denn ich habe meinen Silbergroschen gefunden, den ich verloren hatte. So, sage ich euch, ist Freude vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut. (Lk 15, 1-10) Liebe Schwestern und Brüder, es gibt unzählige Geschichten, die von verlorenen Dingen handeln. Jeder von Ihnen könnte sicher sofort eine erzählen! Bekannt ist auch die schweißtreibende Suche an allen möglichen und unmöglichen Plätzen, wo man das Verlorene vermutet. Eine Steigerung erfährt die Suche, wenn sie unter Zeitdruck geschieht. Und handelt es sich gar um den Auto- oder Haustürschlüssel ist Panik angesagt! Sehr verständlich wird da die Freude der Frau, die Freundinnen und Nachbarn ruft, um das Glück des Findens mit ihnen zu teilen. Zumal wenn die Vermutung stimmt, dass es sich bei dem verlorenen Silbergroschen um eine kostbare Münze aus dem Brautschatz gehandelt hat, der als Kopfschmuck diente. Nicht ganz so nachvollziehbar mag die Freude des Hirten sein. Er hatte doch noch 99 Schafe! Warum ein solcher Aufwand für dieses eine? 100 Schafe, das war in der Antike eine äußerst stattliche Anzahl. Er war also reich! Der Verlust des einen Tieres würde ihn nicht in eine Existenzkrise stürzen. Und doch lässt er alles stehen und liegen und macht sich auf den Weg zurück. Irgendwo muss es ja sein, vielleicht verletzt, vielleicht eingeklemmt zwischen Steinen oder im Gestrüpp. „Ein guter Hirte“, so kann man sagen. Bei kritischen Menschen schwingt aber vielleicht auch der Gedanke mit: Was, wenn in der Zwischenzeit ein wildes Tier die restliche Herde angreift? Da könnte es ganz andere, viel schmerzlichere Verluste geben! Ist es nicht ein wenig leichtsinnig, sie allein zu lassen? Und wie reagiert der Hirte, als er das Tier findet? Lukas erzählt nicht, wo es sich verirrt hat. Womöglich stand es sogar friedlich kauend auf einer schönen, fetten Wiese. Das wäre Grund genug, zunächst erst einmal ordentlich zu schimpfen und dann das eigenwillige Tier nach Hause zu treiben! Ihm Beine zu machen! Der Hirte, den Jesus beschreibt, tut das nicht. Er nimmt das Schaf einfach nur auf seine Schultern und trägt es zurück. Voller Freude. Und – wie die Frau, die den Groschen gefunden hat - ruft er Nachbarn und Freunde und teilt seine Freude mit ihnen. Eine Szene, die gut tut! Sie erinnert an den 23. Psalm: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich...“ Gott ist der Hirte, der dem Verlorenen nachgeht, der nicht vorschnell urteilt, sondern den rettet, der in Gefahr ist, verloren zu werden im Dschungel der Welt. Niemand muss sich fürchten vor „finstern Tälern“; daran knüpft Jesus in seinem Gleichnis an. Die Menschen damals verstanden ihn. Hirten gehörten zu ihrer Lebenswelt. Jesus konnte sie problemlos fragen: „Welcher Mensch ist unter euch, der nicht so gehandelt hätte?“ Heute gibt es nur noch wenige Schäfer, Hirten, und auch die Einstellung zu Verlorenem hat sich bei vielen geändert. „Was weg ist, ist weg“, sagen die einen. „Aus den Augen, aus dem Sinn“, die anderen. In den Fundbüros stapeln sich Fahrräder und Taschen und sogar Geldbörsen. Auf Rastplätzen werden in der Ferienzeit immer wieder angebundene oder streunende Hunde gefunden, die man auf diese Weise „entsorgt“ hat. Zum Glück gibt es aber auch das Andere noch! Liebevoll gestaltete Zettel, die an Bäumen oder Hauseingängen hängen mit Fotos von verlorengegangenen Katzen, Hunden, Vögeln. Da spürt man die Liebe für diese vermissten Wesen. Liebe, das ist ein wichtiges Stichwort in den Gleichnissen „vom Verlorenen“, die Jesus erzählt hat. Nicht aus materiellen Gründen, sondern aus Liebe sucht der Hirte sein Schaf, die Frau ihren Silbergroschen, der sie vielleicht an das Glück ihrer Hochzeit erinnert. Liebe lässt Jesus im Erzählen seiner Gleichnisse auch in seinen Zuhörern wach werden. Er vertraut darauf, dass es im Leben eines jeden Liebenswertes gab und gibt, für das er oder sie alles einsetzen würde. Denn: „Verloren“ -, was verbirgt sich an Schicksalen hinter diesem Wort! „Verloren“ können Gegenstände sein, aber auch Menschen. Erschüttert müssen wir immer wieder miterleben, wie Eltern verzweifelt ihre Kinder suchen. Nicht nur, weil sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen sein könnten, sondern auch, weil sie sich nicht mehr zuhause melden. Und wir wissen: Wenn Eltern ihr Kind suchen - aber auch umgekehrt -, wenn Kinder ihre alt gewordenen, verwirrten Eltern suchen, dann geht es um alles, manchmal auch um Leben oder Tod. Alle Fehler, Ärgernisse oder Kritik sind in einem solchen Augenblick unwesentlich. Es zählt nur das Eine: Wiederfinden! Wenn nach solchem schmerzlichen Suchen ein Wiedersehen geschieht, dann herrschen, wie Jesus es sagt: Freude, Jubel, Glück! „Gott sei Dank, wir haben dich wiedergefunden!“ In den Gleichnissen vom verlorenen Schaf und dem verlorenen Groschen geht es um Gottes Liebe, mit der er all denen nachgeht, die verlorengegangen sind und sie sucht. Und es geht um seine Freude über jeden, der wiedergefunden wurde, der zurückgekehrt ist. Menschen können verlorengehen, sie können sich aber auch selbst „verloren“ glauben. Nicht wenige Kinder, Erwachsene, Junge, Alte, Reiche, Arme fühlen sich heute hoffnungslos, alleingelassen, ungeliebt. Ein solches Gefühl tut weh. Es macht einsam. Manche werden krank. Wir lesen von erschreckenden Taten, die nicht selten aus dem Gefühl, „verloren“ zu sein, entstanden sind. Wer so empfindet, hat sich aufgegeben, und das Leben erscheint rabenschwarz und sinnlos. Warum soll man es nicht zerstören? Nur Liebe kann wohl solche Schwärze durchdringen. Und solche Liebe kann es gar nicht genug geben in unserer Welt. Gott liebt. Gerade die vermeintlich Verlorenen. Darum ist Jesus in die Welt gekommen. Zöllner und Sünder, Prostituierte, Aussätzige -, von der Gesellschaft wurden sie gemieden, aber Jesus scheute die Gemeinschaft mit ihnen nicht. Schon damals haben das viele nicht verstanden. Auch die, von denen Lukas zu Beginn erzählt: „Es nahten sich ihm aber allerlei Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.“ Wie konnte Jesus mit den Außenseitern Tischgemeinschaft haben, wenn es doch sie gab, die klugen, eifrigen Männer! Was für eine Verschwendung! Aber ganz klar ist die Botschaft: Gott liebt die Verlorenen. Er geht ihnen nach und lässt dafür die 99 anderen allein. Sie werden es überleben, sie werden sich kurzzeitig zu helfen wissen. Aber die herausgefallen sind aus dem Netz, die müssen aufgefangen werden. „Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe“, heißt es im Johannesevangelium. So viel sind wir Gott wert. Wie viel Grund zur Freude. „Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist“, heißt es im Wochenspruch. Gott sei Dank dafür. Amen.
13. Juni 2021
Herzlich willkommen zur Email-Andacht am 2. Sonntag nach Trinitatis mit Pfarrer Schneider aus Marjoß! Waren Sie schon einmal zu einem Freitagsgebet in einer Moschee? Oder am Sabbath in einer Synagoge? Stellen Sie sich vor, Sie wären dazu eingeladen oder würden zufällig da reingeraten: Was muss ich da jetzt machen, um nicht groß aufzufallen? Und nun versetzen Sie sich einmal in jemanden, der in unseren Gottesdienst kommt – zufällig als Tourist oder aus Neugier oder weil Sie ihn mitgebracht haben. Jemand, der sonst nicht zur Kirche geht: Wann steht man hier auf? Wann setzt man sich? Manchmal sprechen die alle gemeinsam was. Muss ich da mitsprechen? Wo finde ich das? Dann haben sie etwas in einem ziemlich altertümlichen Deutsch gesungen. Unter dem einen Lied stand: „Text: Nürnberg, 1568“. Und manches, was sie gesungen haben, war gar kein Deutsch, sondern irgendwas anderes: Kyrieleison und Hosianna. Schließlich haben die alle im Chor so was gemurmelt: Ich glaube an Gott … und die Jungfrau Maria … und zu richten die Lebenden und die Toten. Da war ich völlig draußen. Von der Rede in der Mitte des Gottesdienstes, habe ich das meiste verstanden, aber sie war ganz schön lang. Muss man tatsächlich ein Eingeweihter sein, um zu verstehen und innerlich mitvollziehen zu können, was bei uns im Gottesdienst geschieht? Sicher: Nicht alles muss immer für alle verständlich sein. Wir singen seit Jahrzehnten „Laudate, omnes gentes“ oder „Ubi caritas“, Gesänge aus Taizé in Latein. Wir singen so etwas manchmal Minuten lang. Dazu brennen Kerzen und ein paar Instrumente spielen sanft dazu. Danach ist eine Zeit der Stille. Und Fremde lassen sich gerade von der Atmosphäre gern mitnehmen, die da entsteht. Auch wenn sie nicht viel verstanden haben von dem kurzen geistlichen Impuls, den es vielleicht auch in diesem Taizégebet gab. – Auf der anderen Seite gibt es manches in unserem Gottesdienst, dass selbst für Insider schwer verständlich ist. Ein Pfarrer erzählte einmal in einer Konferenz, in der es um den Gottesdienst ging: Zu ihm war nach dem Gottesdienst eine Frau gekommen, die schon seit vielen Jahren jeden Sonntag dabei war. Die fragte ihn: »Herr Pfarrer, ich muss jetzt mal wissen: Wer ist eigentlich der Dulam?« – »Häää?« – »Na, wir singen doch immer, wenn wir Abendmahl feiern: Christi, Dulam Gottes? Ich weiß bis heute nicht, wer mit dem Dulam gemeint ist.« – Sicher: Wir feiern im Gottesdienst das bleibende Geheimnis der Erlösung durch das Lamm Gottes, welches der Welt Sünde trägt. Aber wenn aus dem Geheimnis ein Rätsel wird, nur weil jemand die Bedeutung von dem, was im Gottesdienst gesagt oder gesungen wird, falsch oder gar nicht verstanden hat, dann ist da etwas schiefgelaufen. Jetzt setzen wir uns einmal als Gäste in einen Gottesdienst der urchristlichen Gemeinde in Korinth im Jahre 55 nach Christus. In dieser antiken multikulturellen Hafenstadt wurden viele Sprachen gesprochen. Neben diesen vielen Muttersprachen gab es als Verkehrssprache Griechisch. Am besten redete man miteinander – auch im Gottesdienst – auf Griechisch. Nun gab es im Gottesdienst in Korinth aber neben diesen vielen Muttersprachen noch eine weitere Sprache, die fast niemand verstand, manchmal nicht einmal die, die sie von sich gaben: die Zungenrede. Paulus stellt in diesem ganzen Briefabschnitt Zungenrede und prophetische Rede einander gegenüber und vergleicht sie miteinander. Wer in Zungen redet, der redet zu Gott. Wer aber prophetisch redet, der redet zu Menschen. Beides sind Gaben des Heiligen Geistes, wer aber in Zungen redet, redet für andere unverständlich. Wer hingegen prophetisch redet, spricht in klaren Worten, die von anderen verstanden werden können. Es ist wie bei Musikinstrumenten: es kommt auf einen klaren Ton an, sonst vernimmt man nur diffuse Geräusche. Paulus schreibt im 1. Korintherbrif im 14. Kapitel: 10 Es gibt vielerlei Sprachen in der Welt, und nichts ist ohne Sprache. 11 Wenn ich nun die Bedeutung der Sprache nicht kenne, werde ich ein Fremder sein für den, der redet, und der redet, wird für mich ein Fremder sein. 12 So auch ihr: Da ihr euch bemüht um die Gaben des Geistes, so trachtet danach, dass ihr sie im Überfluss habt und so die Gemeinde erbaut. Nicht alles in unseren Gottesdiensten muss für Außenstehende, Hinzukommende, Suchende auf Anhieb verständlich sein. Aber wir haben ein paar hilfreiche Maßstäbe für die Gestaltung unserer Gottesdienste: 1. Was dient der Erbauung, der Ermahnung und der Ermutigung untereinander? 2. Was ist mehr, was ist weniger geeignet, andere zu erreichen, zu berühren und ihnen den Zugang zum Glauben zu ermöglichen? Und schließlich: 3. Was entspricht der Liebe? – Das steht ja nicht ein für alle Mal fest, sondern das müssen wir immer wieder neu herausfinden. Lasst uns darüber im geschwisterlichen Gespräch bleiben. Amen. Fürbitten: Gott, hab Dank für alles Gute, das uns in der Kirche, in der Gemeinde widerfahren ist: Für Stille und Gemeinschaft, für klare Worte und Orientierung, für Ermutigung und Vergebung. Dir bringen wir auch das Schwierige, das Belastende, die Enttäuschungen, die uns andere bereitet haben, unsere eigenen Versäumnisse. Wecke wieder Erwartungen in uns, dass wir uns neu einlassen auf dein Wort, auf die Gemeinschaft, auf Schritte zueinander, auch auf das manchmal mühsame Miteinander. Wir rufen zu Dir: Herr, erbarme Dich. Gott, hab Dank für alles Gute, das uns zum Leben gegeben ist: Für diesen Tag der Ruhe und Besinnung, für Arbeit und Wohnung, für Zeiten des Alleinseins und Zeiten der Gemeinschaft, für die Schönheiten der Natur und die Annehmlichkeiten der Zivilisation, die uns täglich zur Verfügung stehen. Dir bringen wir auch unsere Sorge um gesunde Lebensbedingungen, um die Zukunft unserer Kinder, um den Frieden der Erde, um gerechte Lebenschancen für alle Menschen. Wecke Phantasie und Verantwortungsbewusstsein unter uns, dass wir zu leben lernen als die Deinen und im Nehmen und Geben einander verbunden bleiben. Wir rufen zu Dir: Herr, erbarme Dich. Gott, hab Dank auch für die kleinen, großen Freuden: den Sommermorgen, das Lächeln eines andern, ein gutes Wort, ein Zeichen der Freundschaft. Dir bringen wir auch die Angst der Überforderten, die Tränen der Enttäuschten, die Schmerzen der Kranken, das Stöhnen der Unterdrückten, den Hunger der Armen, das Schweigen der Verzweifelten. Wir rufen zu Dir: Herr, erbarme Dich. Bleib Du uns zugewandt in Zeit und Ewigkeit. Wir beten gemeinsam, wie es uns der Herr gelehrt hat: Vater unser im Himmel Amen.
6. Juni 2021
Jonas Gebet: Aber der Herr ließ einen großen Fisch kommen, Jona zu verschlingen. Und Jona war im Leibe des Fisches drei Tage und drei Nächte. Und Jona betete zu dem Herrn, seinem Gott, im Leibe des Fisches und sprach: Ich rief zu dem Herrn in meiner Angst, und er antwortete mir. Ich schrie aus dem Rachen des Todes, und du hörtest meine Stimme. Du warfst mich in die Tiefe, mitten ins Meer, dass die Fluten mich umgaben. Alle deine Wogen und Wellen gingen über mich, dass ich dachte, ich wäre von deinen Augen verstoßen, ich würde deinen heiligen Tempel nicht mehr sehen. Wasser umgaben mich bis an die Kehle, die Tiefe umringte mich, Schilf bedeckte mein Haupt. Ich sank hinunter zu der Berge Gründen, der Erde Riegel schlossen sich hinter mir ewiglich. Aber du hast mein Leben aus dem Verderben geführt, Herr, mein Gott! Als meine Seele in mir verzagte, gedachte ich an den Herrn, und mein Gebet kam zu dir in deinen heiligen Tempel. Die sich halten an das Nichtige, verlassen ihre Gnade. Ich aber will mit Dank dir Opfer bringen. Meine Gelübde will ich erfüllen. Hilfe ist bei dem Herrn. Die Leute sehen Jona laufen. Wie von Sinnen rennt er Richtung Hafen. Springt auf das erst beste Schiff und ist weg. Angst hat ihn gepackt. Vor dem was Gott von ihm erwartet. Vor dem was er tun soll: Ninive, einer Stadt mit so ungeheuer vielen Einwohnerinnen und Einwohnern soll er die Auslöschung ankündigen. Jona läuft. Weg von Ninive. Weg von Gott. Weg auch von sich selbst. „Lauf davon“ denkt er Ich kann Jona verstehen. Wie kann Gott nur so etwas verlangen? Die Menschen von Ninive sind nicht bekannt dafür zimperlich zu sein. Ihr Hass, ihre grausamen Eroberungsfeldzüge versetzen die damalige Welt in Angst und Schrecken. Sag ihnen: „Gott wird euch vernichten“ Das der Auftrag von Gott an Jona. Was ist schlimmer: Sich dieser brutalen Supermacht schutzlos und allein entgegenstellen? Oder das Wissen, dass Gott es wahr werden lassen kann: die Vernichtung von allen Menschen in Ninive: alte und junge? Ich kann verstehen das Jona wegläuft. Wer könnte stehen bleiben sich dem aussetzen, was da auf einem zukommt? Gott stellt sich Jona in den Weg. Lässt ihn nicht laufen. Stürme peitschen das Schiff, auf dem er ist. Sie werfen ihn über Bord. Der Fisch verschlingt ihn. Spuckt ihn am Strand vor Ninive aus. Sie kennen die Geschichte. Jona geht auf den großen Platz in der Mitte der Stadt. Und seine Rede hält das Böse auf. Die Menschen in Ninive laufen nicht mehr weg vor den Konsequenzen ihres bösen Tuns. Sie halten inne. Bereuen ihr Tun. Und auch Gott lässt seinen Plan Ninive zu zerstören nicht weiterlaufen. Die Geschichte von Jona ist eine Geschichte vom Aufhalten. Nichts läuft weiter so wie gedacht, wie schon immer oder nur aus lauter Verzweiflung. Wenn ich von dem weglaufe, was ich tun sollte – Dann wünsche ich mir jemanden, die/der mich aufhält, umdreht und auf die richtige Spur bringt. Wenn ich sehe, wie die Welt falschen Lauf nimmt – in so vielen Dingen, dann wünsche ich mir, dass Gott die Welt aufhält in ihrem Irrweg. Und ich wünsche, dass wir selbst auf unseren Irrwegen erkennen, wenn sich uns das Gute in den Weg stellt und wir innehalten. Gott stellt sich auch uns in den Weg – Wenn wir ohne Sinn und Verstand – aus Angst oder Kurzsicht weglaufen von dem was richtig ist, was Liebe ist, was uns zu groß und mächtig erscheint. Es fordert Mut sich seinen Feinden in den Weg zu stellen, aber noch mehr Mut sich seinen Freunden in den Weg zu stellen. Amen
30. Mai 2021
Liebe Schwestern und Brüder, wir feiern Trinitatis. Ein hohes Fest. Die liturgische Farbe ist weiß. Die nachfolgenden Sonntage sind nach diesem Fest benannt. Und doch kann kaum jemand etwas zur Bedeutung dieses Tages sagen. Das hat vielleicht mit der wenig greifbaren, auch schwer verständlichen Thematik dieses Festes zu tun. Dreieinigkeit. Drei Gestalten, in denen Gott sich offenbart – das ist in einer monotheistischen Religion schon kompliziert genug. Und dann hat es auch noch eine dieser Seinsweisen Gottes besonders in sich… Gott als Vater und Jesus als Sohn, das kann man sich ja noch gut vorstellen, Vater-Sohn-Beziehungen kennen wir alle. Aber wie passt da jetzt der Heilige Geist rein, in diese eigentümliche Dreier-Beziehung? In unserem Glaubensbekenntnis bekennen wir den dreieinigen Gott: Da ist zunächst einmal Gott, der Vater: als Allmächtiger, als Schöpfer des Himmels und der Erden wird er da tituliert. Dann bekennen wir den Sohn, Jesus Christus, als unseren Herrn. Von ihm gibt es im Glaubensbekenntnis sogar eine Kurzbiographie mit sämtlichen Eckdaten seines Lebens: seine jungfräuliche Geburt, sein Leiden und Sterben unter einem römischen Statthalter, seine Auferstehung, seine Himmelfahrt. Und schließlich heißt es da: Ich glaube an den Heiligen Geist. Keine Erläuterung, keine Biographie, keine Eigenschaften. Nein, es geht gleich mit der heiligen christlichen Kirche weiter. In einem Satz. So, als ob man lieber schnell mit verständlicheren Themen weitermacht, eilig an dem Rätselhaften vorbeigeht, damit man sich nicht der Frage stellen muss, an was man da eigentlich glaubt. Wer ist eigentlich der Heilige Geist? Das Glaubensbekenntnis drückt sich an einer Definition vorbei, dogmatisch-theologische Lehrbücher kennen Definitionen – aber mal ehrlich, können wir damit etwas anfangen? Da heißt es zum Beispiel: „Die Seinsweise des Geistes steht für die Dimension der Selbstvergegenwärtigung im Geheimnis Gottes.“ Aha. Ich würde sagen, es ist ganz schön kompliziert mit dem Heiligen Geist. Wer ist der Heilige Geist und vor allem: was macht er eigentlich? Das Werk der Schöpfung ist von Gott, dem Vater, bereits getan, das Werk der Erlösung und der Versöhnung von Gott, dem Sohn, Jesus Christus, ebenfalls. Bleibt bei dieser Betrachtung Gott, der Heilige Geist also sozusagen arbeitslos? Im Evangelium des Johannes im 16. Kapitel lesen wir dazu: „Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen. Derselbe wird mich verherrlichen; denn von dem Meister wird er´s nehmen und euch verkündigen. Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich gesagt: Er wird´s von dem Meister nehmen und euch verkündigen.“ Der Heilige Geist, der Geist der Wahrheit, um den wir zu Beginn jedes Gottesdienstes bitten, redet und handelt also nicht aus sich selbst. Seine Initiative besteht nicht darin, dass er das Wirken und Reden des Vaters und des Sohnes mit einem eigenen Thema anreichert oder ergänzt. Er ist vielmehr die Realisierung des Schöpferwortes und des Versöhnungswirkens; der Geist bringt zur Wirkung, was Gott der Vater und der Sohn tun. Will man einen Vergleich in weltlicher Dimension anstellen, könnte man vielleicht sagen: der Geist ist die Exekutive, die ausführende Seinsweise des dreieinigen Gottes. Gott, der Vater wäre dabei die Legislative, die gesetzgebende Kraft, Jesus Christus die Judikative - er kommt zu richten die Lebenden und die Toten. Ohne die Exekutive aber, ohne die Ausführung des göttlichen Willens, ohne die Wirkung Gottes in der Welt, die der Geist wirkt, bliebe Gott für uns ein ferner, abstrakter Unbekannter. Der Heilige Geist ist die Dimension Gottes in der Gegenwart. Weil er Teil des dreieinigen Gottes ist, ist mit ihm Gott selbst für uns gegenwärtig. Der Heilige Geist ist also sozusagen „Gott in Aktion“. An Pfingsten haben wir die Sendung des Heiligen Geistes gefeiert, und das heißt: Gott kommt zu uns, er ist nicht mit der Himmelfahrt in unerreichbare Sphären entschwunden. Er kommt im Heiligen Geist zu uns, er schafft Leben, schenkt Wahrheit, tröstet in der Verzweiflung, durchbricht die Abschirmung von Gott - denn er ist der uns gegenwärtige Gott. Trotzdem fällt es uns oft schwer, den Heiligen Geist – Gott – in unserer Gegenwart zu begreifen. Und das liegt wohl auch daran, dass wir ihn nicht sehen. Wir sehen ihn nicht, wie die Jünger Jesus sehen konnten, ihn ansehen, anfassen konnten und sicher sein konnten, dass er da ist. Den Heiligen Geist, diesen anderen Tröster, der uns an Pfingsten gegeben wurde, können wir nicht anfassen, nicht fotografieren, nicht mit den Augen sehen. Bleibt er also der große Unbekannte? Die biblischen Ausdrücke für das Wort Geist, im Hebräischen ruach und im Griechischen pneuma legen es nahe, den Heiligen Geist als den schöpferischen Atem Gottes zu interpretieren, der das Geschaffene zum Leben ruft und das Tote auferweckt. Die beiden Worte lassen sich zunächst mit der erfrischenden Bewegung des Windes übersetzen, als Hauch, als Lebensodem, als Fähigkeit des Atmens, ohne die das Leben hinfällig ist. Der Heilige Geist schafft Leben, erhält Leben, erweckt Erstarrtes zu neuem Leben. Bei Johannes heißt es im 6. Kapitel: „Der Geist ist´s, der da lebendig macht.“ Mit dieser Interpretation des Heiligen Geistes als Lebendigmacher wird jedoch deutlich, dass er nicht ganz so unsichtbar ist, wie es zunächst scheint. Sicher, ihn selbst, seine Gestalt können wir nicht sehen. Wie der Hauch, der Wind ist er unsichtbar. So wie wir aber die Wirkungen des Windes sehen und hören können, wenn sich Bäume neigen oder Blätter rascheln, so lassen sich auch die Wirkungen des Heiligen Geistes in unserer Gegenwart entdecken: Wenn scheinbar Totes wieder lebendig wird, eine längst begrabene Freundschaft wieder aufblüht, starres Nebeneinander zu bewegtem Miteinander wird, wenn Trauernde nicht haltlos in ihrer Trauer versinken, wenn sich Streitende versöhnen. Gut, dass es ihn gibt. Den Heiligen Geist. Diese Seite Gottes, die unsichtbar aber nicht wirkungslos in unserem Leben Raum findet. Und zu Recht zählen wir unsere Sonntage „nach Trinitatis“. Nach Gott, Vater, Sohn und Heiligem Geist. Amen Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag. Bleiben Sie gesund und behütet.
22. Mai 2021
Pfingstsonntag 2021 Ewiger Gott, groß bist Du, groß sind Deine Werke. Dich preisen der Himmel und das ganze Erdreich. Dich rufen wir an: Sei mitten unter uns o Gott. Sei mitten unter Deinen Kindern, die Du geschaffen und durch Jesus Christus erlöst hast. Dass wir Dich preisen und durch uns und Deine ganze Schöpfung das Lob Deiner Herrlichkeit klinge. Durch Jesus Christus, unsern Herrn und dem Heiligen Geist. Amen. 1. Mose 11,1-9: 1 Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. 2 Als sie nun von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst. 3 Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! – und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel 4 und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut über die ganze Erde. 5 Da fuhr der HERR hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. 6 Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. 7 Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe! 8 So zerstreute sie der HERR von dort über die ganze Erde, dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen. 9 Daher heißt ihr Name Babel, weil der HERR daselbst verwirrt hat aller Welt Sprache und sie von dort zerstreut hat über die ganze Erde. 1. Das Unglück begann mit einer neuen Entdeckung: Dem Asphalt. Der hieß damals noch nicht so. Die Menschen nannten ihn „Erdharz“. Klebrig wie das Harz eines Baumes war dieses schwarze Zeug, das aus der Erde kam. Wir kennen es heute als „Bitumen“, ein teerartiges Kohlenwasserstoffgemisch. Mit Mineral-stoffen gemischt heißt es Asphalt. Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! – und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel. Mit der Entdeckung eines neuen Baustoffs beginnt die biblische Geschichte vom „Turmbau zu Babel“. Erdharz als Mörtel machte ein solch großes Bauprojekt erst möglich. So einen Turm im heutigen Irak gab es tatsächlich: Seine Fundamente hat man südlich von Bagdad ausgegraben. Auf einer Grundfläche, fast so groß wie ein Fußballfeld, befand sich ein über 70 Meter hoher Stufenbau. Der erste Turm entstand ungefähr 1800 Jahre vor Christi Geburt und stand in der Hauptstadt des babylonischen Reichs. Ein antiker Geschichtsschreiber berichtet von einem Turm aus acht Stufen, ganz oben mit leuchtend blau glasierten Ziegeln und einem Dach aus Gold. Doch schon zu seiner Zeit war der Turmbau Geschichte: Nur noch eine Ruine. Der Stoff, aus dem Geschichten sind. 2. „Der Fortschritt lässt sich nicht aufhalten“, glauben nach einer Umfrage fast 90 Prozent der Deutschen. Verbunden mit einer „Fortschrittsgläubigkeit“ ist die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Neue Technologien sollen zum Beispiel den Klimawandel aufhalten oder Pflegekräfte in den Krankenhäusern unterstützen. Auch die Menschen von Babel verbanden mit der neuen Technologie eine Hoffnung: Lasst uns Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder. Hinterfragt hat das anscheinend niemand. Aber sie hätten fragen können: „Wieso sollen wir uns einen Namen machen müssen? – Wir haben ja schon einen.“ Denn kurz vor der Geschichte vom Turmbau wird in der Bibel eine lange Namensliste aufgeführt, die so genannte Völkertafel. Alle Namen der Nachkommen Noahs, alle Völker, die aus ihnen entstanden sind, werden da aufgezählt. Sie hätten fragen können: „Wieso sollten wir Angst haben vor der Zerstreuung? Die gibt es doch schon längst.“ Die Völkertafel endet nämlich genau vor der Turmbaugeschichte mit der Feststellung einer Sprachen- und Völkervielfalt auf der ganzen Erde: Von denen her haben sich ausgebreitet die Völker auf Erden nach der Sintflut. (1 Mose 10,32) 3. Sie fragen nicht nach. Wie im Rausch, begeistert von der neuen Technik, immer höher bauen sie. Grenzenloser Fortschritt bis in den Himmel. Spätere Generationen erzählten sich diese Geschichte gern. Denn es gab da diese eine Stelle, die zum Lachen war: Da fuhr der Herr hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. Die Menschen glauben, sie könnten bis zum Himmel bauen. Und Gott, von dem ja jedes Kind weiß, dass er dort oben im Himmel wohnt, muss sich wie ein Riese zu den Zwergen niederbücken, um überhaupt sehen zu können, was die Menschenkinder da unten anstellten. Anschaulicher kann man menschlichen Größenwahn nicht beschreiben. Was aus menschlicher Sicht ein Großbauwerk ist, ist vom Universum her gesehen kaum der Rede wert. Aber menschlicher Größenwahn tut der Menschheit nicht gut. Wenn auch die chinesische Mauer und die Pyramiden von Gizeh in Ägypten noch vom Weltraum her zu sehen sind; sie sind – wie viele Großprojekte nach ihnen – auch Zeugnisse von Ungerechtigkeit und Unterdrückung, von Abschottung und Gleichschaltung, von Einheit auf Kosten von Vielfalt. Die Zuhörer der alten Geschichte – so kann man sich das vorstellen – nicken zustimmend, als sie das göttliche Urteil über den gefährlichen menschlichen Größenwahn hören: Dies ist erst der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. 4. Wer meint, jetzt komme die göttliche Strafe, liegt falsch. Was jetzt kommt, ist so etwas wie ein Neustart der Geschichte, im Computerdeutsch: ein „Reset“. Das Online-Lexikon erklärt: „Ein Reset ist ein Vorgang, durch den ein elektronisches System in einen definierten Anfangszustand gebracht wird. Dies kann erforderlich sein, wenn das System nicht mehr ordnungsgemäß funktioniert und auf die üblichen Eingaben nicht reagiert.“ In der Bibel beginnt das „Reset“ mit dem Wörtchen Wohlauf – man kann auch übersetzen: „Auf“, „Los!“ oder: „Ans Werk!“ Mit Wohlauf fingen die Turmbauer an. Mit Wohlauf geht Gott ans Werk. Er stellt den Ausgangszustand wieder her. Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe! So zerstreute sie der Herr von dort über die ganze Erde. Sprachverwirrung, Sprachenvielfalt – das ist der Anfangszustand gewesen. Gott setzt die Geschichte noch einmal auf Neustart. In der Vielfalt der Sprachen und Kulturen liegt der Segen. In der Zerstreuung, im Weggehen und Neuanfangen, liegt Segen. Schon im nächsten Kapitel wird vom Abraham erzählt – vom Weggehen und Neuanfangen. Eine Geschichte davon, wie einer in die Fremde geht, in die Weite der Welt. Man kann das als Gegengeschichte lesen zum Turmbau. Statt in die Höhe zu bauen, geht er in die Weite. Statt sich einen Namen machen zu wollen, vertraut er der Verheißung, dass Gott ihm einen großen Namen machen wird. 5. Das Unglück begann mit einer Entdeckung. So beginnen viele Geschichten. Nicht immer ist der Fortschritt ein Glück für die Menschheit. Rohöl, erhitztes „Erdharz“ machte einst den „Hochbau“ von Babel möglich. Als Brennstoff wurde Rohöl im 20. Jahrhundert zum wichtigsten Rohstoff der Industriestaaten und förderte deren – unseren Wohlstand –, aber in der Folge auch die Ungerechtigkeit zwischen „armen“ und „reichen“ Staaten. Am Ende der Entdeckung stehen Umweltschäden – von Tankerunglücken bis zum Klimawandel. Unser Turmbau zu Babel droht einzustürzen. Vom Turmbau zu Babel sind nur noch die Fundamente geblieben. Immer höher, immer schneller – das sind nicht nur olympische Ziele; das ist auch der unhinterfragte Antreiber unserer Wirtschaft. Wer dabei nur mitmacht, ohne zu hinterfragen, der findet sich bald unter den Bauarbeitern und Architekten von Babel wieder. Deren unhinterfragtes Motiv war die Angst: Wir werden sonst zerstreut in alle Länder. Hinterfragt hat das anscheinend keiner. Die Angst war der Sklaventreiber dieses Unternehmens. Ein Ausstieg schien so unmöglich wie heute der „Kohleausstieg“, der „Atomausstieg“ und der „Erdölausstieg“. Was will das werden? 6. Was will das werden? fragen die Menschen an Pfingsten in Jerusalem. Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem anderen: Was will das werden? Sie entsetzen sich über eine plötzliche Veränderung. Sie hören – jeder in seiner eigenen Sprache – die Predigt, die Erzählung von den großen Taten Gottes. Was genau die Jünger da so geistbegabt predigten, wird nicht berichtet. Zu den großen Taten Gottes gehört aber sicherlich auch die Sprachenverwirrung von Babel, die Geschichte, wie Gott den „Reset-Knopf“ gedrückt hat, um dem Größenwahn, dem wahnsinnigen Größenwachstum ein Ende zu setzen. Das Sprachenwunder von Pfingsten hebt die Sprachenverwirrung von Babel nicht auf. Die Vielfalt der Sprachen bleibt und die Zerstreuung auch. Es bleibt das mühsame Sprachenlernen, aber auch die Faszination an fremden Kulturen und Ländern. Es bleiben die Missverständnisse zwischen Menschen, das Ringen um gegenseitiges Verstehen, aber es bleiben auch die bereichernden Diskussionen zwischen verschiedenen Menschen mit unterschiedlicher Meinung. Es bleibt die Vielfalt und die Zerstreuung auch der Kirchen: Es gibt nicht „die eine Kirche“ auf Erden. Eine Kirche mit diesem Anspruch wäre wohl eine „babylonische“ Kirche, die sich selbst einen Namen machen will, wie damals die Menschen von Babel. Die Kirche, die an Pfingsten ihren Anfang nimmt, ist die Kirche der Vielfalt. Die Kirche, in der viele Menschen in vielen Sprachen, in allen Ländern den Namen des Herrn anrufen. Amen Fürbitten: Heilig bist Du, Du unvergänglicher und unsichtbarer Gott, Ursprung des Lebens, Erlöser der Welt, Geist der Wahrheit. Wir bitten Dich um: Weisheit für die Mächtigen, Beistand für die Bedrohten, Schutz für die Verfolgten, Trost für die Traurigen, Versöhnung für die Verfeindeten, Heilung für die Kranken, Hoffnung für die Verzweifelten, Gerechtigkeit für die Welt und Frieden allen Menschen. Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute, und vergib uns unsre Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen. Es segne und behüte uns, Gott, der Allmächtige, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Amen. Bleiben Sie gesund und behütet! Es grüßt Sie herzlich Ihr Pfarrer Harald Schneider aus Marjoß!
13. Mai 2021
Am Ostermorgen hat der Engel verkündet: „Jesus ist nicht hier“ es bedeutete: Jesus ist nicht hier bei den Toten. Er lebt. Er erscheint ihnen allen. Sie feiern Ostern als Sieg über den Tod. So könnte es enden. So könnte es bleiben. Aber das tut es nicht. Jesus bleibt nicht. Weg. Schon wieder ist er weg. Ein weiteres Mal blieben die Jüngerinnen und Jünger Jesu verlassen zurück. Aufgefahren in den Himmel, das klingt nur in theologischer Betrachtung oder in kirchlichen Bekenntnissen erhaben und triumphal. „Er ist nicht hier“ das bedeutet an Christi Himmelfahrt. Wirklich weg. Nicht nur ein bisschen, sondern ganz. Feiern mag damals niemand die Himmelfahrt. Und 2021? Jesus fehlt auch heute, in der Welt, in der wir leben. Er fehlt, auch 2021 da wo er von der Erde zum Himmel auf-gefahren ist: Immer noch – schon wieder lebt Israel nicht in Frieden. Jesus fehlt, nicht nur dort, überall Auch wir kennen die Sehnsucht mit dem die Jüngerinnen und Jüngern in den Himmel schauen und sich fragen: Wer wird es jetzt richten? Wer wir jetzt dafür sorgen das 5000 und ich satt werden? Wer wird die Kranken gesund machen, Blinden die Augen öffnen und auch mir neues zeigen? Wer sagt jetzt: ihr sollt leben und wir tun es, ohne Sorge, oh-ne Zweifel, ohne Not und Leid? Der Bibeltext für heute ist ein Gebet. Ein Gebet, das nicht wir nachsprechen können, sondern ein Gebet, das Jesus für uns spricht. Johannes 17 Jesus betet: Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, damit sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, damit sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und Jesus betet für alle die er zurück lässt, mehr noch er betet auch für alle die durch seine Jüngerinnen und Jüngern von ihm hören werden. Denn er wird nicht mehr da sein. Er ist aufgefahren in den Himmel, ganz und gar nicht mehr da. Wir bleiben zurück, mit den Jüngerinnen und Jüngern. Für einen Moment war es damals gut, innezuhalten und zu trauern, dass Jesus wieder – diesmal endgültig fort war. Und für einen Moment ist es auch an einen Feiertag gut darüber nachzudenken, was uns fehlt, was wie nie erlebt haben, weil wir nie mit Jesus von Nazareth nach Jerusalem gezogen sind. Für einen Moment mag das gut und wichtig sein. Dann aber gilt es auch weiter zu schauen, die Augen wieder zu senken, weg vom Himmel, wo Jesus irgendwo hin entschwunden ist und wieder auf die Welt zu blicken, die ja immer noch da ist. Immer noch – und das ist doch verwunderlich. Denn die Summe alles Schrecklichen auf der Welt ergibt keine schreckliche Welt. Die Summe alles Resignieren und Scheiterns in der Welt ergibt keine gescheiterte Welt. Die Summe all dessen, was so scheinbar übermächtig das Leben in dieser Welt zu zerstören sucht, gibt keine zerstörte Welt. Es gibt immer Platz: dass immer auch etwas gut ist. Ein Lächeln, dann doch an diesem Feiertag, denn das hat er zurückgelassen: seine Liebe, die die Liebe Gottes ist. Aufgefahren in den Himmel, aber Jesu Platz in dieser Welt ist ausgefüllt wird mit allem was diese Welt so bitter nötig hat. Weil Jesus in den Himmel aufgefahren ist – bleibt Platz in der Welt für seine Liebe – überall, zu allen Zeiten Wir sind leben in einer Welt, in der Jesus in den Himmel auf-gefahren ist, um Platz zu machen für Fülle von allem zu allen Zeiten. Einen anderen Blick haben die Jüngerinnen und Jünger da-mals erhalten: Natürlich ist es schön mit Jesus Fische im See Genezareth zu fangen. Natürlich war es atemberaubend sei-nen Erzählungen zu lauschen. Warum aber soll Jesus nur der bleiben, der in einem ganz begrenzten Zeitraum ein paar Menschen heilt, wenn die ganze Welt auf Heilung wartet? Warum sollte er nur ein paar Fischern etwas beibringen, wenn eine ganze Welt nach Bildung hungert? Warum nur 5000 satt machen, wenn es genug für Milliarden gibt. Es geht also an Christi Himmelfahrt um alles zu allen Zeiten. Wir hören sein Gebet: Lass sie eins sein. Und dann spüre ich die Liebe Gottes: Liebe die Grenzen, Meinungen Unterschiede überwindet. Überwindet aber nicht einebnet. Darum lass uns in der Liebe Gottes bleiben der Liebe Gottes, die höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unsern Herrn. Amen
9. Mai 2021
Rogate (Matthäus 6, 7–13) Ein Seiltänzer im Mittelalter hatte sich den Marktplatz einer Stadt als Manege ausgesucht. Zuschauergerecht spannte er das Seil hoch über die Köpfe der Menschen. Sicher läuft er über das schwingende Seil. Die Menschen halten die Luft an und atmen hörbar auf, als er das kleine Podest auf der anderen Seite des Seils erreicht. Dieses Kunststück reicht ihm aber noch nicht. Er trägt eine kleine Schubkarre auf das Seil und schiebt sie nun vorsichtig hinüber. Wieder die Spannung und die Angst, dass er hinabstürzen könnte. Aber auch das schafft er! Aber nun will er die Spannung noch mehr steigern. So ruft er: „Wer wagt es, sich in diese Schubkarre zu setzen und sich von mir über das Seil schieben zu lassen?“ Schrecken und Stille breiten sich aus. Keiner meldet sich. Dann doch eine feste Kinderstimme: „Ich mach’s!“ Ein Raunen geht durch die Menge. „Das darf der doch nicht! Und wer ist denn überhaupt dieser Junge? Wo sind seine Eltern? Die müssen das doch verbieten.“ Aber schon ist er die Leiter hinaufgeklettert und setzt sich in die Schubkarre. Das Kunststück beginnt. Langsam, Schritt für Schritt, geht der Künstler über das Seil. Jedes Zögern und jede Unsicherheit werden mit einem angstvollen Raunen der Menge begleitet. Schließlich der letzte Schritt: Die Schubkarre steht fest auf dem Podest. Lautes Klatschen von unten. Dankbar verbeugt sich der Künstler. Der Junge klettert behände das Seil hinunter und wird von Fragen überhäuft. „Junge, woher hast Du denn bloß diesen Mut?“ Die Antwort des Jungen war kurz: „Aber wusstet ihr das denn nicht? Der Seiltänzer ist doch mein Vater!“ Dieser Junge konnte vertrauen. Er wusste, dass er sich auf seinen Vater verlassen kann. Der wird ihn nicht fallen lassen. Diese Geschichte führt uns zu dem Kern unseres Glaubens. Glauben – das bedeutet ja vor allem Vertrauen. „Du kannst nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand“ – so dichtete Arno Pötzsch im Jahre 1941 in den dunklen Zeiten des Krieges. Dieses Vertrauen sucht Ausdrucksformen, braucht Rituale und Worte. Heute feiern wir den Sonntag Rogate: „Betet!“ Das Gebet ist der zentrale Ausdruck solchen Vertrauens. Ich komme in Kontakt mit dem, der mich geschaffen hat, der mich durch mein Leben geführt hat, der mich nie aus seinem liebenden Blick verloren hat und der mich auch heute nicht fallen lässt. Dabei ist es mit dem Beten nicht nur einfach. Manche Menschen sagen, dass sie nicht mehr beten können. Das Gefühl der Verbundenheit mit Gott ist nicht mehr spürbar oder es fehlen einfach die Worte. Jesus wusste um die Not, die manche Menschen mit dem Gebet und dem Vertrauen auf Gott haben. Er bot ihnen konkrete Hilfen an. Den Menschen, die sich um die Schwäche ihres Glaubens sorgten, stellte er das winzige Senfkorn vor Augen, das wachsen wird und sich zu einem großen Baum entwickelt. So ein Glaube reicht schon aus. Und als ein Vater in der Sorge um seine Tochter ehrlich bekennt: »Ich glaube, hilf meinem Unglauben!«, so erhört Jesus auch dessen verzweifelte Bitte. So weiß Jesus um die Probleme, die Menschen mit dem Gebet haben. Und er weiß auch darum, dass das Gebet missbraucht werden kann. Deshalb gibt er Hilfen, wie wir recht beten können. Davon hören wir nun in im Matthäusevangelium, im 6.Kapitel: 7. Wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. 8. Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. 9. Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. 10. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. 11. Unser tägliches Brot gib uns heute. 12. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. 13 Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen. Dieser biblische Text ist uns wohl vertraut. Jesus lehrt das Gebet, auf das wir immer zurückgreifen können, selbst dann, wenn alle anderen Worte fehlen. Es drückt aus, was für unser Leben unaufgebbar wichtig ist. Damit verbindet Jesus aber auch eine Belehrung über die Gefahren des Gebetes. Die eine, das Beten in der Öffentlichkeit, wird den meisten unter uns fremd sein. Zu der Zeit Jesu war das anders. Da galt das andächtige oder auch laute Beten als ein besonderer Verdienst vor Gott. Es gab feste Gebetszeiten, die durch Hornsignale öffentlich angekündigt wurden. Die Menschen stellten sich dann in Richtung Jerusalem auf und beteten flüsternd. Die Vorübergehenden sahen dies mit Ehrfurcht. Die Versuchung war groß, sich nun nicht mehr nur auf Gott zu konzentrieren, sondern auf die Bewunderung von Menschen. Unter der Hand hatte sich aus dem vertrauensvollen Umgang mit Gott eine Showveranstaltung entwickelt, in der der Beter der Hauptdarsteller ist. Auf diese Gefahr weist Jesus hin: Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. Dieses Gebet ist nicht bei Gott angekommen. Zur Vermeidung dieser Gefahr gibt es eine leichte Hilfe. Die Betenden ziehen sich einfach aus der Öffentlichkeit zurück in das sprichwörtlich gewordene „Kämmerlein“, einen kleinen Raum ohne Fenster. Hier waren die Menschen allein – nur mit ihrem Gott. Hier konnte in aller Ehrlichkeit gesprochen werden. Hier gab es keine Ablenkung durch äußere Einflüsse. Für manche Menschen unserer Zeit bedeutet diese Aufforderung Jesu, dass auch ein Tischgebet im Kreis von anderen Menschen nicht angebracht ist. Dabei wird das Gebet heutzutage ja nicht mehr als eine so lobenswerte Leistung angesehen wie in biblischen Zeiten. Erhalten wir uns die Offenheit, zu dem zu stehen, was unser Leben trägt. Bleiben wir ehrlich in unserem Kontakt zu Gott, sei es im „stillen Kämmerlein“ oder in der Öffentlichkeit. Das zweite Problem, das Jesus benennt, ist die Form des Gebetes. Zu seinen Zeiten gab es die Vorstellung, dass es für die Götter wichtig war, mit besonders vielen Worten zu ihnen zu sprechen. Dem Gebet wurde eine magische Bedeutung zugemessen. Durch besonders viele Worte bekam das Gebet eine Kraft, der sich die Gottheit nicht entziehen konnte. Diese Gefahr nahm Jesus nun auch in Israel wahr. Sein kurzer Rat: Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. Das Vertrauen rückt wieder in den Mittelpunkt. Wir müssen Gott doch nicht überzeugen, uns zu helfen. Wir müssen ihn auch nicht mit der Tiefe unserer Frömmigkeit beeindrucken. Er kennt uns doch besser als wir selbst. Und er liebt uns mehr als wir uns vorstellen können. Also müssen wir ihn nicht mit vielen Worten überzeugen. Aber müssen wir dann überhaupt noch beten? Er weiß doch sowieso schon alles. Nun, dies ist eine akademische Frage. Wenn Menschen miteinander vertraut sind, so ist doch das natürlichste Bedürfnis, sich miteinander auszutauschen. Wir geben einander Anteil an unseren Freuden, Sorgen und Ideen. So ist es auch mit der Beziehung zu Gott. Sie will gestaltet und gelebt werden. Der Austausch durch das tägliche Gespräch ist ein wichtiger Teil davon. Manchmal fehlen uns aber auch die Worte. Wir sehnen uns nach der Nähe zu Gott, finden aber keine Wege, ihr Ausdruck zu geben. Selbst der Apostel Paulus, der so viel Kraft aus dem Gebet zog, kannte diese Erfahrung. So schreibt er im Römerbrief: Desgleichen hilft auch der Geist unserer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen. Und noch eine andere Hilfe zum Gebet gibt uns Jesus. Es schenkt uns das Vaterunser. In ihm sind alle wichtigen Themen zusammengefasst, die wir für unser Leben brauchen. Es beginnt mit dem Ausdruck des Vertrauens: „Vater Unser“. Schutz, Sorge, Stärke, Hilfe, Gehaltensein – alles das schwingt in diesen beiden Worten mit. Mit drei Bitten wendet sich der Beter zunächst an Gott, um in Kontakt zu kommen mit seinem Reich und Willen. Mit den folgenden Bitten kommen die alltäglichen menschlichen Fragen in den Blick: Das Brot für den nächsten Tag, die Vergebung und die Bewahrung in aller Versuchung. An dieser Stelle könnten nun die nächsten Predigten beginnen, die jede Bitte in ihrer Bedeutung für unser Leben auslegen. Ich schließe mit Luthers Auslegung zum 1. Gebot im Kleinen Katechismus: Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen. Amen Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen
2. Mai 2021
An der Grenze und über die Grenze hinaus! Liebe Gemeindeglieder im Sinntal! Die Grenze hat in meinem Leben immer eine gewichtige Rolle gespielt. Zwölf Jahre direkt an der ehemaligen innerdeutschen Grenze zur DDR zu leben, hat mich geprägt. Früher, wo es noch keine EU und kein Europa ohne Grenzen gab, ließen uns Auslandsreisen diese Grenzen bewusst spüren. Jetzt in der Pandemie m¸ssen auch viele Jüngere diese unguten Erfahrungen machen. Oder die vielen Visa in meinem alten Pass, sie lassen mich freudig und auch traurig an so manche Ostblockreise oder in ein Land der sogenannten „Dritten Welt“ denken. Es geht freudig zu in so manchem kleinen Grenzverkehr ohne Kontrollen. An anderen Grenzen ist es anders. Unüberwindlich, unerbittlich trennen Mauern, Stacheldraht und Minenfeld oder nur ansteckende Krankheiten. Denken wir an Korea, den Süden der Ukraine etc. Dort wird noch geschossen, verwundet und getötet. Jeder Grenzübertritt bereitet aber gemischte Gefühle, oft sogar Angst obwohl das meist nicht nötig ist, aber in uns drin sitzt. Grenzen, natürlich entstanden und künstlich gezogen. Sind zwischen Menschen und Völkern, zwischen Ländern und Kontinenten. Warum eigentlich? Frankreich und Deutschland z.B. waren einmal zusammen unter Karl dem Großen. Im Nachbarland heißt er nur Charlemagne. Dann waren wir Jahrhunderte Erzfeinde und jetzt kommen wir im neuen Europa wieder zusammen. Oder Hessen und Thüringen – die Geschichte der Hlg. Elisabeth lehrt uns, Hessen ist aus Thüringen entstanden, bei unterschiedlichen politischen Sichtweisen in den Ländern heute, werden wir nicht immer gern daran erinnert. Die Kultur wie auch unsere ev. Konfession kam aus dem Osten. Martin Luther war eindeutig Ostdeutscher, wie Bach, Händel und viele andere übrigens auch. Grenzen werden durch Kriege verändert, Flucht und Vertreibung fordern ihre Opfer auf beiden Seiten.Viele Filme und Fernsehserien erinnern uns dabei immer wieder an unsere eigene leidvolle Geschichte. Grenzen müssen respektiert werden, auch wenn sie schmerzen. Grenzen schützen auch, schenken Bewegungsfreiheit. Aber sie zerreißen und zerschneiden auch. Ich träume davon, dass rings um den Globus in allen Ländern dieser Erde hinter den Grenzen Freude, Freiheit und Frieden wohnen. Ich träume von einer Welt mit offenen Grenzen auch nach Myanmar und Saudi-Arabien, nach China und Kurdistan. An Grenzstationen meines Lebens stehe ich Tag für Tag, Jahr für Jahr.Von der Kindheit zur Jugend, von der Ausbildung in den Beruf, vom Alleinleben in die Partnerschaft, in die Ehe und Familie. Aus der Arbeit in den Ruhestand. Manchmal erreichen die Grenzen meines Lebens mein Bewusstsein. Jetzt bin ich im Ruhestand und was kommt noch? Immer müssen wir Grenzen passieren. Das Haus wird leer, die Kinder sind aus dem Haus. Viele kennen diese Grenzen und die anderen müssen sie noch lernen. Unser Glaube kann uns die Übergänge erleichtern. Ich erlebe meine Grenzen ständig. Ich stehe oft genug an der Grenze meines Wissens. Ich sehe die Grenze meiner Erkenntnis, meiner Macht. Kann ich mich an Grenzen halten oder werde ich grenzenlos und dabei auch maßlos? In der Schöpfungsgeschichte am Anfang unserer Bibel wird von Adam und Eva berichtet. Als sie sein wollten wie Gott, haben sie die Grenzen des Erlaubten überschritten. Nun stehen sie, wie wir alle, jenseits des Paradieses, aber damit nicht jenseits von Gut und Böse. Ich erleide meine Grenzen ständig. Ich komme öfters an die Grenzen meiner körperlichen Möglichkeiten. Krankheit und Alter werden für uns alle Vorboten der letzten Grenze, unseres Lebensendes auf dieser Erde. Unsere Seniorenheime und die Coronakrise führen uns das eindrücklich vor Augen. Wie werde ich mit diesen Grenzerfahrungen fertig, ohne mir die Freude an meinem noch lebbaren Leben nehmen zu lassen? Grenzsituationen muss ich mit anderen meistern. Zwischenfälle im Umgang miteinander bleiben nicht aus. Grenzverletzungen bleiben im Alltag nicht aus, in der Familie, im Beruf, in unserer Gemeinde. Mögliche und nötige Grenzen dürfen nicht verrückt werden. Das wäre dann manchmal zum Verrücktwerden. Der oder die andere in der Gemeinde, auch im Mitarbeiterstab und Kirchenvorstand, hat eine andere Meinung, denkt anders in manchen Fragen. Muss ich mich deshalb verschließen, muss er sich deshalb abgrenzen? Das trifft mich immer besonders stark. Miteinander arbeiten und leben, in der Kirche zuerst, ist Öffnung zum Gespräch über den Zaun. Dabei höre ich auf den anderen, rede mit ihm, lerne von ihm, gebe zu, dass er Recht haben könnte und ich im Unrecht bin. So stelle ich mir das immer wieder vor und bitte Gott um Hilfe. Viele leben an der Grenze, in unserer Gemeinde und unserer Gesellschaft. Wir haben die Mitte oder die Seiten nicht gepachtet. Daran lasst uns als Kirchengemeinde und Bürger immer denken. Wir dürfen nicht zuerst ausgrenzen sondern sind für Geleit und Grenzschutz zuständig, für hilfreiches Geleit zur Rückkehr in gute Grenzen. Karl Jaspers hat gesagt: „Die Grenze ist der Ort fruchtbarer Erkenntnisse. Die Größe des Menschen liegt in dem, was er in der Erfahrung der Grenze wird. Ich wünsche mir, dass wir Grenzerfahrungen bestehen und weiter kommen. Einige solcher Erfahrungen mussten wir ja in der Pandemiezeit und im Abschied von lieben Menschen erleiden. Das wird hoffentlich nicht immer so der Fall sein. Wir sind Grenzgänger zwischen den Welten. Daher gilt Psalm 147, Vers 14: „Gott schafft deinen Grenzen Friefden.“ AMEN Pfr. i.R. Joachim Truss
Weitere Beiträge